Die Musik von Andreas Stahel oszilliert zwischen repetitiver Trance und klanglicher Vielfarbigkeit.

Mit seiner Debüt-CD «Helix Felix» ist dem klassisch ausgebildeten Flötisten Andreas Stahel ein gleichermassen kompaktes und faszinierend vielschichtiges Werk geglückt, das aus dem Rahmen fällt.

Inspiriert von der Minimal Music und wohl auch von folkloristischen Musizierweisen hat der 1967 geborene Stahel zu einer Klangsprache gefunden, die ihren Drive aus repetitiven Mustern bezieht und die durch klangliche Vielfarbigkeit besticht: Zuweilen mag man kaum glauben, dass dieser Sound-Kosmos nur von einem Menschen geschaffen wird. Stahel ... arbeitet nicht mit elektronischen Tricks, sondern hat sich mittels «trial and error» eine Reihe spezieller Techniken angeeignet.

Dazu gehören die rhythmisierte Zirkularatmung, das mehrfache Überblasen, der gezielte Einsatz von Klappengeräuschen und die Verbindung von Gesang und Flötenspiel […]

Tom Gsteiger, St.Galler Tagblatt, 22.Januar 2004

Schöpferischer Atem

Der Flötist Andreas Stahel stellt sein zweites Solo-Opus vor: „Circular Hocket“ ist eine faszinierende Klangreise zwischen hypnotischen Patterns und ungewöhnlichen Ambient-Sounds.

Vor vier Jahren liess der 1967 geborene  Flötist Andreas Stahel mit seiner Début-CD «Helix Felix» aufhorchen. Ganz alleine und ohne elektronische Hilfsmittel schafft er das Kunststück, den Ton seiner Instrumente durch den Einsatz der Stimme so stark zu verfremden, dass man über weite Strecken seinen Ohren nicht traut. In den Händen von Stahel wird eine Flöte zu einem kleinen Orchester – oder man könnte auch sagen: zu einer Zauberflöte.

Nun folgt mit «Circular Hocket» Stahels zweiter Streich, wiederum veröffentlicht auf Tonus-Music-Records, dem Label des Berner New-Minimal-Pioniers Don Li. Mit Li teilt Stahel ein vehementes Interesse am hypnotischen Potenzial repetitiver Patterns und an der Reduktion auf das Wesentliche. So verwendet er auf der neuen CD ausschliesslich das Material einer einzigen Tonleiter – und er konzentriert sich ganz auf die Klangmöglichkeiten von Bass- und Kontrabassflöte, die er wiederum durch seine Stimme erweitert.

Mittels “Trial And Error” hat Stahel spezielle Spieltechniken weiterentwickelt bzw. Eigene Spieltechniken entdeckt, die es ihm ermöglichen, eine unglaublich breite Palette an Sounds zu erzeugen. Manchmal hat man bei der neuen CD das Gefühl, dass da noch ein Perkussionist aus dem brasilianischen Regenwald mitspielen würde, oder man fühlt sich an bizarre Loops der elektronischen Ambient-Musik erinnert.

Was Albert Mangelsdorff für die Posaune und Evan Parker für das Sopransaxophon getan hat, das tut Andreas Stahel für die Flöte: die verblüffende Erweiterung ins Mehrstimmige. Im Gegensatz zu Mangelsdorff und Parker ist er allerdings weder der Ästhetik des Jazz noch der freien improvisierten Musik verpflichtet; seine Orientierungspunkte sind vielmehr die amerikanische Minimal Music auf der einen und Folklore auf der anderen Seite (am besten im Eröffnungsstück «Steaming Shapes» zu hören).

Der im Buddhismus stark verbreitete Obertongesang und die szenischen Performance-Elemente verleihen Stahels Auftritten die Form einer rituellen Zeremonie. Er selbst ist denn auch interessiert an der meditativen Tiefenwirkung von Musik und schreibt sich ein Flair für Spiritualität zu, um im selben Atemzug hinzuzufügen: “Aber das ist nicht so wichtig.”

Tatsächlich wirkt Stahel weder auf der Bühne noch im Gespräch wie ein abgehobener Esoteriker, der über den Dingen schwebt, sondern wie ein von Neugierde und Ernsthaftigkeit getriebener Künstler mit einer klaren Vision, der unbeirrbar und mit grossem schöpferischem Atem seinen eigenen Weg geht.

Tom Gsteiger, der Landbote, 4. Juni 2008, St. Galler Tagblatt, 5. Juni  2008

Eine Solo-CD nur mit Flöte? Darf man das? Ja, man darf. Man soll sogar, besonders, wenn man Andreas Stahel heisst. Aus den Klängen verschiedener Flöten, aus Singstimme, Blas-, Klappen- und Atemgeräuschen, aus Obertongesang und sogar Tanzschritten entsteht eine Musik von höchster Intensität. Flächige Klanggebilde stehen im Kontrast zu groovigen Ostinati, stilistisch bewegen sich die Kompositionen zwischen Minimal Music, Ambient, Ethno und zeitgenössischer Musik. Aus der Kombination von stupender Technik, langjähriger Kompositionserfahrung und sicherem Geschmack kreiert Stahel eine Klangwelt von ungewohnter Schönheit. Der Verzicht auf jegliche Overdubs und elektronische Effekte macht das Hörerlebnis nur noch organischer. Sehr beeindruckend!

Rainer Fröhlich, Jazz’n’more, Mai/Juni 2004

Allein sein heisst, in guter Gesellschaft zu sein. Daran denkt, wer „Circular Hocket“ hört, die zweite Solo-CD des Flötisten Andreas Stahel. Während knapp 60 Minuten musiziert Stahel auf Kontrabass- und Bassflöte, und nicht eine Sekunde lang wünscht man sich, dass noch ein anderer Musiker dabei wäre bei den zehn Stücken. Diese Klänge müssen ganz einfach solo gespielt sein. Und gerade weil Virtuosität hier nicht Selbstzweck ist, darf man staunen über sie.

Wie schon bei seiner ersten Solo-CD „Helix Felix“ lässt einen Stahel in minimalistische Klänge eintauchen, in groovende Patterns, in die Weiten fast unbewegter Soundscapes. In „Circular Hocket I“ exponiert der Flötist ein Motiv, verändert es in der Mikrostruktur, verdichtet es; mit seiner Vokalstimme erzeugt er zusätzliche Töne, baut so rotierende Minimalismen aus Flöte und Stimme. Im mitreissenden „Wheel Trance I“ lässt er, wie einst Minimal-Altmeister Steve Reich in der berühmten „Piano Phase“, ein 12/8-Motiv durchlaufen und changiert es in den Nuancen. Mit Atemgeräuschen simuliert er Schlagzeugrhythmen, akzentuiert Töne. Das ist alles streng gebaut. Es herrschen Sorgfalt und grösste Kontrolle. Dies sind Studien eines Präzisionsmechanikers...

Die ultratiefe, fast im Bodenlosen spielende Kontrabassflöte hat etwas Elementares. Und immer ist da wieder zu hören, wie Stahel tief Atem schöpft. Das ist mit Sicherheit Absicht. Der Atem gehört zu diesen Tönen wie das Luftgeräusch zum Wind. Dies ist eine Musik vor der Herrschaft des Apparats, der Technik. Atem und Klang sind dasselbe.

Christoph Merki, Tages Anzeiger, 9. August 2008

Eindrückliche Verbindung von Musik und Raum

Die Uraufführung von Andreas Stahels Komposition "Tiefe Himmel weite Welt" wurde in der spirituellen Grösse des Schaffhauser Münsters zu einem einmaligen Klang- und Raumerlebnis.

Inspiriert vom Text von Klaus Merz: "Tiefe Himmel, weite Welt - leise wiegen, mutig gehen"... schuf der Komponist in einzigartiger Ausdrucksweise musikalische Ausblicke in die letzten Dinge des menschlichen Daseins. Mit Franziska Welti und ihren drei Frauenchören, den Winterthurer Singfrauen, den Singfrauen Berlin und dem Vokalensemble vox feminae fand er kongeniale Partnerinnen für seine Musik. ... Nach zwei erfolgreichen Aufführungen in der Predigerkirche Zürich und der Stadtkirche Winterthur war der hiesige Kirchenraum sowohl durch den langen Nachhall als auch stilistisch geradezu prädestiniert für diese Musik, und dies bei voll besetzten Bänken auch durch ein erfreulich jüngeres Publikum. Mittelalterliche Gregorianik, innige Mariengesänge und archaische Spielmannsweisen mündeten nahtlos in farbige Klanggewebe, repetitiv rauschhafte Ostinato-Muster im postmodernen Stil, getoppt von folkloristischen Jodelmotiven, jazzig Groovigem und Obertongesang. Sie bildeten eine vollkommene Einheit mit dem Raum: Klangwolken von obertönigen, reinen Oktav- und Quintklängen schwebten bis in die Höhen des Kirchenschiffs und zogen die Hörer in einen meditativen Sog. Die Instrumente erinnerten wohl nicht zufällig an Gamben- und Posaunenchöre der Renaissance. Bordunquinten wie von mittelalterlichen Drehleiern wurden als Klangteppiche unterlegt, oder die Posaune blies das Fundament des Cantus firmus in geistlichen Motetten aus dem 15. Jahrhundert. Von eindrücklicher Symbolik war die letzte Klangfläche "Mutig gehen", durchwoben von Gesang als ruhiges, vertrauensvolles Vorwärtsschreiten, weg vom Zuhörer, wie ein Übergang in eine andere Welt der Ewigkeit.

Gisela Zweifel-Fehlmann, Schaffhauser Nachrichten, 12. April 2016

Andreas Stahel mit HELIX – Neue Gruppenerfahrungen

Der virtuose Flötist Andreas Stahel hat bislang als Soloperformer von sich reden gemacht. Nun präsentiert er sich an der Spitze eines Quartetts.

Der 1967 in St.Gallen geborene Wahlwinterthurer Andreas Stahel ist ein musikalischer Ausnahmekönner. Wenn der klassisch ausgebildete Flötist zu seinen Arbeitsinstrumenten greift, kann es passieren, dass man sich als Hörer verwundert die Augen reibt: Die Ohren vernehmen dicht verwobene Soundtexturen, die von mehreren Protagonisten stammen müssten. In Tat und Wahrheit aber ist nur Stahel am Werk, der ganz allein, ohne elektronische Hilfsmittel vorgeht.Stahels Virtuosität ist auf zwei Soloalben dokumentiert, seinem Debut “Helix Felix” aus dem Jahr 2003, dem 2008 “Circular Hocket” folgte. Erschienen sind die beiden CDs auf Tonus-Music-Records, dem Label des in Bern beheimateten Saxofonisten und Musikorganisators Don Li, dessen ästhetische Vorlieben Stahel mit seiner Neigung zu halluzinogenen Schlaufenpatterns teilt. Auf dem selben Label ist nun auch das dritte Album des Flötisten erschienen, nämlich “Schilf”, das einerseits in einer merklichen stilistischen Kontinuität zu seinen Vorgängern steht, andererseits aber auch einen fundamentalen Bruch markiert: “Schilf” ist kein Soloprojekt, sondern eine Gruppenarbeit… Am Piano sitzt sitzt Stahels alter musikalischer Bekannter Roger Girod, der vom Leader als grandioser Improvisator beschrieben wird. Girods Sohn Jean-Daniel, dem Stahel eine unglaubliche rhythmische Begabung attestiert, bedient die Perkussionsinstrumente, währenddem der Kraft und Sensibilität vereinende Tobias Hunziker als Schlagzeuger fungiert… Die einzelnen Stücke, die auf einfache Skizzen aus Stahels Feder zurückgehen, wachsen in der Gruppe zu ihrer eigentlichen Form heran…

Die im Kollektiv entstandene Musik evoziert … mannigfaltige Bildliche Assoziationen, was damit zu tun hat, dass sie sich in Form sorgfältig strukturierter Abläufe präsentiert… Die Flöte fügt sich bewusst ins Geflecht von Patterns, Sounds und Rhythmen ein… Damit wird auch klar, dass sich der Flötist in seiner Quartettformation nicht einfach “begleiten” lässt, sondern nach einem genuin kollektiven Erlebnis strebt…

Georg Modestin, Jazz’n'More, September/Oktober 2013

Flautando 2015 Boswil

Andreas Stahel eröffnete das Abendkonzert mit seiner ganz persönlichen ureigenen Art des Flötespiels. Mit der Bassflöte spielte er Continuum I, ein Werk, welches sehr archaisch, vielschichtig und absolut wie aus einer anderen Welt erklingt. Durchgehende Zirkuläratmung fordert den Spieler und die Zuhörer, sodass man in Atemnot gerät, aber auch hypnotisiert wird. Daraus entsteht eine Transzendenz, die bezaubert. Wir durchleben verschiedene Stufen von Mehrklängen mit Unter- und Obertönen, mit Stimme dazu, rhythmisch und packend. Continuum I füllte mühelos den ganzen Kirchenraum und liess ihn schwingen. Im folgenden Stück, Pax Multiplex, war sofort wieder die Handschrift von Andreas Stahel und seine unnachahmliche Ausdrucksweise erkennbar, diesmal mit der Kontrabassflöte. Es flirrte und glitzerte und flatterte um die Ohren. Der ganze Raum geriet in Schwingung. Das letzte Werk, Continuum II, knüpfte wieder an das erste an und versetzte alle ob der ausgefeilten Spiel - Ton - Atem - Klang - Welt dieses Ausnahme - Flötisten in erstaunen.

Peter Hofer in "Flöte aktuell" Dezember 2015

Von der Kraft des Atems

Man mache die (Hör-)Probe aufs Exempel und spiele, stellvertretend für Andreas Stahels zweites Tonus-Music-Album «Circular Hocket», «Wheel Trance II» an: Auf die vermeintlich banale Frage nach der Anzahl der Musiker, welche diesen Sound generieren, werden die meisten «Versuchspersonen» vermutlich drei antworten. Falsch! Was die Boxen hier von sich geben, ist eine Soloperformance, die – und das gilt für beinahe alle Titel auf der CD – akustisch, ohne elektronische Hilfsmittel beziehungsweise Overdubs aufgenommen worden ist. Der Mann, der diese Tour de force zustande bringt, ist der 1967 in St. Gallen geborene Wahlwinterthurer Andreas Stahel, der wie kaum ein Zweiter, mit Leib und Seele, die Maxime vom Blasinstrument als der Verstärkung des eigenen Atems verkörpert.

Auf ebendieser grundsätzlichen Ebene funktioniert Stahels Musik, wobei die Kunst in der spektakulären Verdichtung des Atems liegt. Unter Einsatz der Bass- und der Kontrabassflöte sowie der eigenen Stimmbänder bringt der Flötist unterschiedliche Tonwelten hervor, deren Vielschichtigkeit die alleinige Urheberschaft Stahels Lügen zu strafen scheint.

Ob halluzinogene Schlaufen-Patterns, archaisch anmutende Beschwörungsformeln (so jedenfalls die Assoziation des Schreibenden) oder zarte, der Erdenschwere enthobene Sphärenklänge: Das neue Album zeigt, was für eine Kraft und potenzielle Formenvielfalt dem menschlichen Atem innewohnt.

Georg Modestin, Der Bund, 15.Mai 2008

Singen ist tönendes Atmen. Und das Spielen eines Blasinstruments so etwas wie Gesang auf einem anderen Medium. Gesang und Flötentöne sind also quasi Verwandte. Und beim Schweizer Andreas Stahel werden sie eins. Wenn Stahel seine überdimensionale Bassflöte an die Lippen setzt, haucht, bläst, zwischendurch singt und auch beim Einatmen Töne erzeugt, verbindet sich alles zu einer endlosen Kette von Tönen.  Circular Hocket: der Titel bezieht sich auf den Hoketus, übersetzt Schluckauf, einer Vokalform des Mittelalters. Bei Andreas Stahel ist es, so scheints, eine Art musikalisches Hyperventilieren. Er singt und bläst sich in Trance. Fast hat man das Gefühl, es ist ein Aus- und Einatmen bis an die Grenze des körperlich Möglichen. Er selbst hingegen meint, dass er hinterher völlig entspannt und hellwach ist.

Rainer Schlenz, SWR2 Trommelfell, 14.8. 2009 

Phänomenal

Es war gegen Ende des Jahres 2002, da stand der Flötist und Klangakteur Andreas Stahel als Gast der Konzertreihe «musica aperta» im Rampenlicht des Theaters am Gleis in Winterthur. Das Publikum lauschte damals gebannt den diversen Möglichkeiten, Querflöte, Alt-, Bass- und Kontrabassflöten zu traktieren.

Der 1967 geborene Musiker hatte nach jahrelangem Ensemblespiel und fundierter Auseinandersetzung mit den Musikströmungen der jüngeren Vergangenheit einen eigenen Stil kreiert, der ihn bislang unverwechselbar macht. Das Minimalistische gehört unbedingt zu seinem Klangkonzept. Die rasch sich wiederholenden Tonfolgen entwickeln dabei einen Groove, der diese Musik ins Niemandsland zwischen avancierter E- und anspruchsvoller U-Musik verweist. Auch wenn es manchmal den Anschein hat, hier sei Elektronik im Spiel, diese Musik entsteht ohne jede Verbindung zu einer Steckdose. Gleichwohl teilt Andreas Stahel «Stromstösse» aus. Dank seiner ausgereiften Technik der Zirkuläratmung erzeugt er minutenlang Töne, deren Ursprung man ganz woanders als in einer «flauto traverso» vermuten möchte. Doch die «artfremden» Flötenklänge allein befriedigen den Unermüdlichen noch lange nicht. Mit Obertonsingen und rhythmischen Fussbewegungen garniert er seine selbst erfundenen Flötenstücke und weitet sie zu einem Feuerwerk der Mehrstimmigkeit aus.

Anja Bühnemann, der Landbote, 19. Februar 2004

Wiederholung und Wildwuchs

Der Flötist Andreas Stahel liess bereits mit atemberaubenden Solo-Projekten aufhorchen. Nun haucht er mit dem Quartett Helix der Minimal Music improvisatorische Freiheit ein.

Ein Schmetterling fliegt nicht wie ein Vogelschwarm. Ein Musiker, der ganz auf sich alleine gestellt ist, gehorcht anderen Regeln, als wenn er Teil eines Kollektivs ist. Der 46-jährige Flötist Andreas Stahel, dessen Kreativität sich in langsamen Pendelbewegungen zu entfalten scheint, hat das am eigenen Leib erfahren: «Zuerst wollte ich mit einer Band meine Solo-Arbeit weiterführen – doch das ging nicht.»

Die auf den Alben «Helix Felix» und «Circular Hocket» dokumentierte Solomusik von Stahel ist geprägt durch verblüffende Mehrstimmigkeit und rhythmisch akzentuierte, repetitive Klangbänder: Die Pausen fürs Atemschöpfen entfallen dank Zirkularatmung. Mit immer höheren technischen Anforderungen hat sich Stahel selbst unter Druck gesetzt. Mit dem Quartett Helix begibt er sich nun ins «Schilf». So heisst die CD, mit welcher der «Zauberflötist» den Sprung vom «Alleinunterhalter» zum Primus inter Pares vollzieht (auch sie erscheint wieder auf Tonus-Music Records von Don Li).
Brückenbauer

Das Quartett Helix entstand durch simple Addition. Zuerst spielte Stahel im Duo mit dem Pianisten Roger Girod, dann stiess dessen Sohn Jean-Daniel (Perkussion, Gesang) hinzu. Nach dem Konzert zu dritt kam der Wunsch nach einer Verstärkung der Groove-Basis auf – mit dem Schlagzeuger Tobias Hunziker konnte man dafür einen sicheren Wert verpflichten.Obwohl weder der CD-Titel noch die Stücktitel («Dreiblatt-Binse», «Rohrglanzgras», «Späte Goldrute») programmatisch zu verstehen sind – sie entstanden im Nachgang zu einer Fotosession in einem Schwemmgebiet der Thur -, greift Stahel im Gespräch über seine Musik gelegentlich auf Naturassoziationen zurück. Etwa wenn er die Entwicklung und Entfaltung von Pattern in langen Prozessen mit dem Wachstum von Pflanzen vergleicht oder wenn er das Wort Gestrüpp fallen lässt, wenn es um frei improvisierte Teile geht. Tatsächlich zeichnet sich die Musik dieses Quartetts durch ein organisch anmutendes Wechselspiel zwischen Wiederholung und Wildwuchs, zwischen Hypnose und Mysterium aus.

Präzision und Fantasie

Wer bisher angenommen hat, zwischen der streng strukturierten Minimal Music und der freien Improvisation klaffe ein unüberbrückbarer Graben, kann sich durch Helix eines Besseren belehren lassen. Die Improvisation, die im Konzert mehr Platz einnimmt als auf CD, bringe sowohl mehr Ruhe als auch mehr wilde Zuckungen ins Spiel, gibt Stahel zu bedenken. Dass der Band eine äusserst schlüssige Synthese dieser doch sehr unterschiedlichen Ausdrucksformen gelingt, hat sicher mit ihrer Arbeitsweise zu tun. Statt alles von oben zu diktieren, lässt Stahel – nach einem Fehlstart mit viel zu komplizierten Vorgaben – kollektive Lernprozesse zu: «Ich bringe zum Beispiel Skizzen an eine Probe mit, die wir dann gemeinsam entwickeln.»

Für den Spagat zwischen Präzisionsarbeit und spontaner Fantasie sind Stahel & Co. gut vorbereitet. So nahm etwa Roger Girod – mit Jahrgang 1945 ganz klar der Veteran der Band – klassischen Klavierunterricht bei Werner Bärtschi, bevor er sich als Autodidakt verschiedenen Formen der Improvisation näherte. Stahel hat klassische Musik studiert, wurde durch Free-Workshops beim Pianoforte-Fantasten Art Lande nachhaltig beeinflusst und lernte im Zusammenspiel mit spanischen Flamenco-Musikern, was es heisst, sich gegenseitig rhythmisch hochzuschaukeln. Vor seinen verblüffenden Solo-Exerzitien war der Flötist als Improvisationsmusiker auch an multi-medialen Veranstaltungen beteiligt – zum Beispiel mit dem «Sprengmeister» Roman Signer.

Tom Gsteiger, Der Bund und der Landbote, 20. Juni 2013

Akustischer Ambient

Die Ohren voller Klang, den Kopf voll sprudelnder Ideen, kann sich Stahel auf seine technische Virtuosität und seine musikalische Flexibilität verlassen.

Inspiriert von der Minimal Music, setzt er in den neun Kompositionen fast durchwegs auf Patterns, in denen sich Musik als Klanggeschehen, als akustischer Ambient jenseits verbindlicher Stile erweist. Auf «Helix Felix» gibt es jedoch mehrere Stücke, in denen sich Stahels Erfahrung in einzelnen Effekten oder Techniken konzentriert – so staunt man immer wieder über die Zirkularatmung, über den rhythmischen Drive der Klappengeräusche oder auch darüber, wie kunstfertig Stahel Obertongesang und Flötenspiel verbindet (ohne Overdubbing oder andere elektronische Hilfsmittel) [...]

Wie souverän Stahel den Flötenklang als Komponist auffächern und unter einen berückenden Spannungsbogen bringen kann, beweist er einerseits in der eher dunklen letzten Nummer «Pax Multiplex», vor allem aber im überzeugenden Auftakt «Continuum». Faszinierend, wie sich hier die Atmosphäre verfärbt, von luftigen, durch den Atem weichgezeichneten Tönen bis hin zu giftig metallischem Flirren. Überzeugend aber auch der kompositorische Schwung, der die Phasenstruktur von Minimal in eine geradezu barocke Architektur überführt.

Ueli Bernays, NZZ, 9. Januar 2004

Im Innern der Klänge

Winterthur im Höhenrausch: was für Alpinisten undenkbar, war er am Freitagabend jedoch in der Kirche St. Arbogast zu erleben.

„Höhenrausch“ war das Konzert betitelt, in dem zwar nicht den Akteuren, dafür dem Publikum durchaus die Luft wegbleiben konnte. Es war eine bizarre, schwebende Klanglandschaft, die sich da während einer guten Stunde immer wieder neu erschloss.

Nach einem Konzept von Andreas Stahel, das auch die Komposition und somit die exakte Notation des musikalischen Ablaufs umfasst, fanden sich vier Musikerinnen und Musiker zu einem bemerkenswerten Ensemble zusammen: Neben der Sopranistin Franziska Welti, die als Konzertsängerin alle Nuancen einer ausgebildeten Stimme beherrscht, und dem Appenzeller Jodler Arnold Alder, dessen rauer, urwüchsiger Gesang durch alle Register der menschlichen Stimme tief in der Volksmusiktradition des Landes wurzelt, ist da Andreas Stahel, bekannt für stimmliche Artikulationen jenseits des gemeinhin Vorstellbaren. Sein Vermögen des Oberton- und Untertonsingens ermöglicht Ausflüge in besondere Klangregionen. Er vermag den Ton in seine verschiedenen Klangeigenschaften zu zerlegen. Aufhorchen lassen immer wieder die aus unergründlichen Tiefen aufsteigenden Untertöne, über deren Schönheit sich streiten liesse, die aber in ihrer Wirkung ihresgleichen suchen. Auch als Flötist hält sich Stahel gern in den Randzonen auf und verwendet mit Vorliebe die Bassquerflöte. Das ungleiche Quartett wurde durch Remo Signer am Lithophon, einem Steinplatten-Marimbaphon, komplettiert.

Es war eine Reise in das Innere der Klänge, die mit der Repetition eines einzigen Tons auf dem Lithophon begann und choralartig mehrstimmig endete. Aus verschiedenen Patterns bestehend, formierten sich kaleidoskopartig immer neue Klangbilder. Manche Kompositions-Manier aus dem Mittelalter mochte hier Pate gestanden haben. So legte sich der Sopran in der Art eines Cantus firmus über das Geschehen oder alternierten die Stimmen in Anlehnung an die alte Hoquetus-Technik miteinander. Ob Höhen- der Tiefenrausch, hier begegnete man in jedem Fall einem die Sinne fordernden Klangrausch.

Anja Bühnemann, Der Landbote, 15. Mai 2006

Das bisher  vielleicht persönlichste auf Tonus veröffentlichte  Album ist Andreas Stahels «Helix Felix».  Der klassisch ausgebildete Flötist Stahel bietet darauf eine rein akustische, ohne Overdubs zustande gekommene Parforceleistung, welche  sämtliche überkommenen Vorstellungen über  Flötenmusik sprengt [...]

Georg Modestin, Der Bund, 12.August 2004

Was der Klangsucher Andreas Stahel an musikalischen Schätzen ausbreitet, ist in der Tat schwer in Worte zu fassen. Seine Arbeit setzt sich aus Tönen, Bewegung und Ambiente zusammen. Ein Tamtam glänzte wie eine Vollmondscheibe vor dem bläulich ausgeleuchteten  Hintergrund. Die Flöteninstrumente, von der Querflöte über Alt- und Bass- bis hin zu der Kontrabassflöte, hingen und standen glitzernd im Raum.

Die Spannung, die Stahel durch seine „Klangteppiche“, diese aus dem Irgendwo auftauchenden und im Nirgendwo verschwindenden Tongeflechte, aufbaute, war enorm. Sein wichtigstes Kapital ist die Zirkuläratmung. Atemlos wird dabei höchstens das Publikum. Zehn Minuten ohne das Instrument ein einziges mal abzusetzen eine Mehrstimmigkeit mit fast psychedelischer Wirkung zu entfalten, ist allein schon konditionell eine beachtliche Leistung. Und noch öfter an diesem Abend, wenn vokale und instrumentale Elemente sich zu einem Ganzen fügten oder wenn die steppenden Füsse sich als Perkussionisten zu verselbständigen schienen, fragte man sich, wie dies alles überhaupt menschenmöglich sei. Andreas Stahel ist nicht nur Musiker, sondern auch ein Artist, der sein MetierMeisterhaft beherrscht.

Anja Bühnemann, Der Landbote, 2. Dezember 2002

[...] Diese Musik steckt voller Assoziationen: Man sieht vorüberziehende Wolken, hört die Brandung des Meeres, betrachtet die von der Erosion bearbeiteten Steine. ... So wie das Schauspiel von Wind und Wellen die Vielfalt des immer gleichen vorführt, so klingen auch die Stücke seiner neuen CD „Circular Hocket“ [...]

Thomas Schacher, NZZ, 12. August 2008